«Gedichte sind bei Siegfried Höllrigl sprichwörtlich in guten Händen. Wer je in der Meraner Valentin-Haller-Gasse bei Siegfried Höllrigl Halt gemacht hat und eingekehrt ist in die Offizin S. Werkstatt für Literatur, Typographie und Graphik, weiß, was ich meine, wenn ich von einem Ort mit einer besonderen Atmosphäre spreche. In den hellen Räumen hängt der Duft von Holz, der metallische Geruch der Druckerschwärze. Beim Eintreten fällt der Blick auf den kleinen Tisch, auf dem die aktuellen Arbeiten liegen und manchmal auch schon ein Begrüßungsglas Wein bereitsteht. Die Offizin S. ist ein Ort der Begegnung, des Handwerks und ein Ort des Denkens. Hier verbindet sich künstlerisch poetische Inspiration mit einer spürbaren Präsenz und der aufmerksamen Präzision handwerklichen Könnens. Gerahmte Gedichte, Graphiken, Objekte, Notizblätter, Briefe, Utensilien und Werkzeuge sind nicht beliebig anwesend, sondern haben ihren genauen Platz. Und inmitten steht – wie ein natürliches Zentrum – die Druckerpresse. Innen an der Eingangstür hängt als Wegweiser ein Gedicht des kroatischen Dichters Ranko Marinković. Darin lautet eine Zeile: "Man muß das Vergnügen einer Hand kennen die arbeitet!"
Die Offizin S. ist gewissermaßen ein Biotop einer raren Lebensart und einer LebensKunst in mehrfacher Hinsicht.
Ort der Langsamkeit
Eine Handdruckerei bewirkt notwendigerweise eine maximale Entschleunigung, denn nur Bedächtigkeit garantiert jene Sorgfalt in der Herstellung, die den Plakaten, bibliophilen Buchausgaben und Druckwerken anzumerken ist und die sie zu gesuchten Raritäten macht. Diese Sorgfalt des Setzens – Buchstabe für Buchstabe – hat nicht zuletzt auch mit genauem Schauen zu tun, mit einem Blick für die richtige Formgebung. Denn dem Setzen geht die Wahl der Schrifttypen voraus. Wie auch das Drucken – Blatt für Blatt – mit der Wahl des Papiers beginnt. Da ist nichts der Beliebigkeit überlassen, sondern alles bewusste künstlerische Gestaltung, die im Übrigen den Text wiederum zu einem neuen Original werden lässt, das auch die Signatur des Autors / der Autorin trägt.
Ein paar Worte zum Wort Typographie: Der Medienphilosoph Vilém Flusser, der in den 1970er Jahren in Meran lebte, erklärt das Wort aus seinen griechischen Wurzeln heraus mit einem Bild: Der Wortstamm ‚typos' meint ursprünglich "Spur", wie sie etwa Vogelfüße im Sand hinterlassen. Den zweiten Wortteil ‚graphie' leitet Flusser von graphein her, was soviel wie "graben" meint (Vilém Flusser: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? Göttingen 1987, S. 49). Typographie – etymologisch hergeleitet – bedeutet also vereinfacht Spuren graben … auf Stein, auf Holz zum Beispiel oder eben auf Papier … Diese Spuren erzeugen bildhafte Strukturen oder, wenn man will, auch den je eigenen Ton einer Schrift. In Siegfried Höllrigls Arbeiten ergeben sich solchermaßen verstandene Spuren aus den Zeichen-Wort-Kombinationen der Texte sowie der mit ihr verbundenen Wahl der Schrifttypen bzw. Papier und Farbe. Das Ergebnis: ein sogenanntes ‚Schriftbild'. Das gelesen werden will. Wahrnehmen, was sich vom leeren Papier abhebt, stiftet langsames Lesen und mit ihm ein Nach- und Weiterdenken. Beispielsweise: Jedes der 25 Gedichte in Plakatgröße, die noch bis Ende Dezember 2019 im Literaturhaus am Inn ausgestellt sind, werden durch die gewählte Schrift zu flächigen Textlandschaften. Schauend-lesend bleibt das Auge hängen u. a. bei Sätzen wie diesen:
"der körper ist das komma im text / um den sich das erfasste dreht" (Róža Domašcyna)
"und nackt auch zeigt sich als Sage das Leben, das kehre / stets wieder und grüne dann ewig entgegen einer / Ewigkeit" (Michael Donhauser)
"Jetzt lernen | das Kleine zu sehn / wie Vogeltritte / die Risse im Stirnholz / seine Farbe | die sich abhebt im / Schnee" (Sepp Mall)
"Columbus // Sagen können: // Ich habe mich / durchgefragt. // Bis zu mir." (Klaus Merz)
"und leer reimt sich der / Himmel auf nichts / oder sich selbst" (Ilma Rakusa)
Ort der analogen Kultur
Siegfried Höllrigl beharrt auf ein analoges Leben. Er zeigt konsequent und unbestechlich, dass es gelingt, auf ganz und gar analogem Weg Projekte zu verwirklichen. Er praktiziert dies – und insofern zeigt sich darin eine Lebenshaltung – ins letzte Detail: Das "Zuhanden" besteht in der Offizin S. aus konkreter Materialität, aus Schreibmaschine, Bleistifte, Füllfedern, Telefonapparat, Papier, Holz, Bleilettern, Druckerpresse usw. Dementsprechend kommuniziert Höllrigl lieber direkt mit seinem Gegenüber und praktiziert darüber hinaus eine Kultur der schriftlichen Begegnung, in der sich Respekt und Wertschätzung gerade auch über die Form mitteilt (wer je einen Brief von Siegfried Höllrigl erhalten hat, weiß, dass seine Korrespondenzen manchmal in die Nähe von Kunstwerken rücken). Analog, direkt und konkret pflegt Siegfried Höllrigl den Kontakt zu anderen, und er geht dafür manchmal auch weit zu Fuß. Zum Beispiel zu Hans Haid von Meran übers Timmelsjoch in Ötztal. Diesen Fußmarsch hat Höllrigl beispielhaft poetisch in einem seiner Reisetexte geschildert (siehe TextForum).» [Christine Riccabona]
Siegfried Höllrigl, *1943 in Meran, nach Schriftsetzerlehre Maschinensetzer und Korrektor, Reifeprüfung am Kunstlyzeum in Verona. Gründungsmitglied der Südtiroler Autorenvereinigung. 1985 Einrichtung einer eigenen Handdruckerei in Bozen. Seit 1987 Handpressendrucker und Herausgeber bibliophiler Editionen in der Offizin S. in Meran.